Zahlenspiel oder
Urlaub mit Hindernissen
Die Fahrzeug-Identifizierungsnummer (FIN) (engl.: Vehicle identification number - VIN) ist die international genormte, 17-stellige Nummer, mit der ein Kraftfahrzeug eindeutig identifizierbar ist. Sie besteht aus einer Herstellerkennung (WMI - World Manufacturer Identifier), einem herstellerspezifischen Schlüssel und einer meist vom Baujahr abhängigen, fortlaufenden Nummer. Nun mal ehrlich habt ihr die Nummern schon einmal mit den Zahlen verglichen, die im Fahrzeugbrief stehen? Grob geschätzt haben dies 2/3 aller Motorradbesitzer noch nie getan. Da ist das Vertrauen an den Motorradhändler bzw. der Zulassungsstelle zu groß. Das wird schon so passn heißt es da meist. Gringo, ein Biker aus dem Burgenland, zählt auch zu jenen 2/3 die nie kontrolliert haben. Schließlich hat er ja seine Suzuki V Strom 650 von einem Händler gekauft. Ein fataler Fehler, der ihm mehr als ein graues Haar kostet ...
Es sollte ein wunderschöner Pfingsturlaub mit seinen Freunden werden. Zu sechst starteten
Gringo und seine Freunde mit den Bikes in Richtung Osten. Eine Woche lang wollten sie unterwegs sein. Über Ungarn, der Ukraine und Rumänien sollte der Ausflug gehen. Das Bike lief perfekt, und Gringo war bei seinem ersten großen Endurotrip voller Erwartungen. Erster Tag - alles lief perfekt. Das Ziel, die ungarische Stadt Misculc, erreichten sie nach wenigen Stunden. Im Hotel wurde der nächste Tagestrip bei ein paar Bierchen geplant.
Bereits um neun Uhr früh ließen sie ihre Motoren an. Rund 800 Kilometer wollten sie heute herunterspulen. Eingerechnet war auch ein einstündiger Stopp an der Ukrainischen Grenze, das kennt man ja.
Entlang an wunderschönen, verträumten ungarischen Dörfern kamen sie auch recht bald an die Landesgrenze. Gegen Mittag begrüßten sie noch die ungarischen Zöllner freundlich. Klar, dass da gleich einiges los war, und alle Grenzposten zu den Bikes stürmten. Anscheinend würden an dem kleinen Posten kaum Motorräder vorbei kommen. Zum großen erstaunen, verlangten die ungarischen Zöllner neben Reisepass und grüner Versicherungskarte auch die Fahrzeugdokumente. Kein Problem dachten sich die Österreicher und scherzten noch von wegen Razzia. Doch nicht nur die Dokumente wurden diesmal überprüft, sondern auch die Bikes. Motorrad für Motorrad wurde die FIN vom Fahrzeugbrief mit dem, vom Fahrzeug verglichen.
Bei den ersten beiden kontrollierten Bikes war noch alles in Ordnung, nicht so bei der Suzuki von Gringo. Als der ungarische Zöllner beim Zahlenvergleich seinen Kopf schüttelte, war es plötzlich vorbei mit dem Lustig sein. Nem Korrekt rief er dem völlig geschockten Gringo zu. Tatsächlich stimmten die Zahlen am Rahmen und jene in den Dokumenten nicht zusammen. Nur zwei Monate vor der Tour hatte er sich erst dieses Bike von einem Händler gekauft und jetzt das? Klar, dass da die Zöllner misstrauisch wurden und auch die restlichen Bikes genauer unter die Lupe nahmen. Waren da etwa eine Gruppe Fahrzeugdiebe unterwegs, die ihre Beute in der Ukraine verhökern wollen ????
Da Ungarn ja EU Partnerland ist, folgte sofort eine EU-weite Anfrage. Die Biker wurde zu einem Parkplatz gebracht und dort hieß es erstmal abwarten. Gut eine halbe Stunde verging bis ein ungarischer Zöllner erschien, der mit einem freundlichen Lächeln Officeproblem verkündete. Es wäre also nur ein bürokratisches Problem, da hätte sich jemand nur vertippt. No Problem sagte er auch als die Biker den Zöllner wegen der weiterfahrt befragten. Gringo fiel ein Stein vom Herzen und auch bei den anderen kam langsam wieder ein Lächeln auf. Wenn es also No Problem wäre, so könnten sie doch auch weiterfahren, oder?
Dies war ein Riesen Fehler, den die sechs schon sehr bald einsehen mussten. Gleich bei der Einfahrt auf die ukrainische Grenzstelle, wurde ihnen klar, hier beginnt der richtige Osten. Ein junger Grenzwächter klärte sie auf, dass sie nur das Visum erhalten würden, wenn er ein Präsent bekommen würde. Gut, die fünf Euro sollten in der Urlaubskasse auch kein großes Loch reißen. So ist es eben im Osten. Nachdem das Visum ausgefüllt und abgegeben war, erfolgte ein ähnlicher Kontrollprozess wie zuvor an der ungarischen Grenze, nur etwas schroffer. Gringo`s Gesichtsausdruck war alles andere als locker, doch jetzt gab es kein Zurück mehr. Klar, dass auch den Ukrainern sofort die falschen Zahlen auffielen, und auch sofort Meldung an den obersten Genossen machten. Sch.... war das einzige, das Gringo da noch über die Lippen kam. Alle Bikes wurden wieder an einen Parkplatz geschoben und einer genauen Überprüfung unterzogen. Auch die Ukrainer dachten wohl, dass hier sechs Motorraddiebe unterwegs wären.
Während die Dokumente und Bikes vom Rest der Gruppe, trotz mehrmaliger Überprüfung, in Ordnung waren, hatte Gringo schlechtere Karten. Gut ein Dutzend Grenzorgane in den unterschiedlichsten Uniformen standen plötzlich rund um sein Bike. Gringo wurde in ein Nebengebäude gebracht, der Rest der Gruppe musste bei den Bikes warten. Nein, in dieser Situation kam keinem ein Scherz über die Lippen. Alle waren extrem angespannt. Die Ukrainer sahen in uns Motorraddiebe und das ließen sie uns auch spüren.
Aufgrund der Verständigungsschwierigkeiten (nur ein junger Grenzpolizist verstand ein wenig englisch) wurde aus der nächsten Stadt ein Dolmetsch angefordert. Zu diesem Zeitpunkt waren die Biker bereits drei Stunden an der Grenzstation.
Nach einer weiteren Stunde des Wartens und der Beantwortung immer wieder derselben Fragen, who ist he owner of this bike ?, kam der Dolmetsch an. Gringo erklärte ihm, der perfekt deutsch sprach, die Situation. Hier wäre wohl etwas mit den Fahrzeugbriefen schief gegangen. Der Dolmetsch wiederum klärte die Wachmannschaft auf, dass hier kein Dieb unterwegs sei, sondern nur die Dokumente das Problem seien, doch dies war verdammt mühsam. An ein zurückfahren war zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr denken. Für eine Bestechung wäre es außerdem bereist zu spät, so der Dollmatch. Es wüssten bereits zu viele Offizielle Stellen von den austria motorista mit dem geklauten Bike.
Immer mehr Polizisten kamen an den kleinen Grenzposten, denn die Geschichte dürfte sich recht rasch herumgesprochen haben. Und alle begutachteten die Suzuki und die völlig geschlauchten Österreicher. Wie würde es wohl weitergehen? Muss Gringo hinter Gitter? Der Botschafter war auch nicht zu erreichen !!!
Gegen 20 Uhr, also nach etwa sieben Stunden, verkündete der Dolmetsch, die Entscheidung der Zöllner bzw. der Polizei. Das Bike müsse hier bleiben, Gringo müsse einige Dokumente unterschreiben und dürfe dann das Land wieder verlassen. Angesichts des enormen psychischen Drucks, war diese Meldung für alle eine Entlastung. Scheiß auf das Bike, nur weg hier, war der eindeutige Tenor aller.
Gegen 21 Uhr waren Gringo`s Sachen an den anderen Bikes verteilt und er selbst nahm an einem Bike als Sozius Platz. Obwohl sie den Grenzposten nicht verlassen hatten wurden bei der Ausreise erneut alle Papiere kontrolliert, doch das war den Österreichern auch schon egal. Nur weg von hier..
Nach etwa einer Stunde Fahrzeit kamen sie an ein Hotel in Ungarn. Erstmal ein paar Bierchen und dann schlafen, morgen sehen wir weiter.
Per Eisenbahn gelangte Gringo wieder nach Österreich, Tags darauf stand er auch schon bei seinem Motorradhändler. Nicht weniger überrascht als Gringo, hörte der sich die Story an. Gringo`s nächster Weg war der zu einem Anwalt, und auch der staunte nicht schlecht.
Nach unzähligen Telefonaten, wurde auch geklärt, was da bei dem Kauf schief gelaufen war: Gringos Fahrzeugbrief war bereits bei der Auslieferung 2006 mit dem eines anderen Bikes vertauscht worden. Niemand hatte dies bisher bemerkt. Weder der Importeur, die Verkäufer, der Vorbesitzer noch die Werkstätten bei denen die jährlichen Überprüfung durchgeführt wurden, auch nicht die Versicherungen ! Niemand!!!
Nach etwa einem Monat flatterte bei Gringo ein wunderschöner Brief aus der Ukraine ein. Auf dem grünen Kuvert waren Ostereier, Blumen und eine kleine Kerze gedruckt. Ein verspäteter Ostergruß, das ist nett dachte sich der Österreicher, doch dem war nicht so. Der Brief erreichte ihn an Freitag. Montags drauf gab er ihn gleich einem Übersetzer, denn außer ein paar Zahlen konnte er nichts entziffern. Montagmittags kam auch schon der Brief übersetzt zurück: es handelte sich dabei nicht um etwaige Grüsse von drüben, sondern um die Einberufung zur Gerichtsverhandlung, die am Dienstag, also am nächsten Tag um 10:00 in Kiev stattfinden würde. Falls er nicht erscheinen würde, so würde er automatisch schuldig gesprochen und das Motorrad eingezogen.
Sofort kontaktierte er seinen Österreichischen Anwalt und erklärte ihn die Dringlichkeit. Der österreichische Anwalt beauftragte daraufhin einen Ukrainischen Kollegen zur Verhandlung zu gehen, was alles andere als einfach war, denn es bleib nicht viel Zeit für Vollmachten, Dokumente usw...
Für Gringo stand eines jedoch fest: noch einmal in die Ukraine zu fahren und dann auch noch zu einer Gerichtsverhandlung, das war nichts für ihn. Er wollte den Scheiss endlich erledigt sehen. Wenn sie das Bike haben wollen, egal. Allerdings mit einer Vorstrafe wegen Motorraddiebstahl, mit der wollte er in Zukunft nirgends hinreisen.
Dienstag 10:00 Kiev: Der ukrainischer Anwalt meldet sich bei verdutzt dreinschauenden Richtern, denn die hatten wohl gedacht sie hätten wieder mal leichtes Spiel. Die Richter mussten daher klein beigeben und verschoben die Verhandlung auf zwei Monate.
Die Österreichischen Anwälte nutzten diese Zeit um Dokumente aufzutreiben. Ein mehrere Seiten langes Schreiben von Suzuki Europe sollten die Unschuld klarlegen. Kopien der beiden vertauschten Fahrzeugbriefe sowie dutzende Schriftstücke des Anwalts kamen in die ukrainische Anwaltskanzlei. Sämtliche Schriftstücke mussten jedoch auf Ukrainisch übersetzt werden und dies kostete zum einen Geld und zum anderen Zeit.
Es war Ende August, als die Richter zusammen kamen und eine Entscheidung über den vermeintlichen Motorraddieb fällten, er wurde zu umgerechnet 1200 Euro Strafe wegen Verstoß gegen das Zollgesetz verurteilt. Weiters zu 150 Euro Lagerkosten. Der Hinweis, er könne sich sein Motorrad abholen, kostete Gringo nur ein lächeln. Den Bescheid reichte er an seinen Motorradhändler weiter. Der, der die Scheiße verschuldet hat, solle sie auch ausbügeln. Mit einem ... Viel Spaß bei den Russen, verabschiedete er sich beim Händler und knallte das Schreiben auf den Tresen. Der Händler machte sich tatsächlich mit einem Trailer auf dem Weg. Und nach sechs Tagen war das unglaubliche wirklich eingetroffen. Die Suzuki war wieder in Österreich. Klar fehlten Kleinigkeiten am Bike, doch ein kleines Souvenir wollte man den Ukrainern zugestehen !
Nach vier Monaten war das Abenteuer dann endgültig vorbei. Gringo hatte sein Bike wieder. Noch wichtiger jedoch, seine Unschuld war gerichtlich bestätigt. Den anfänglichen Frust hatte er mittlerweile auch verdaut. Es bleiben allerdings Zahlungen wie Anwaltskosten, Strafe usw. in der Höhe von rund 6000 Euro. Wenige Tage nachdem Gringo`s Anwalt die Forderung an den Dealer übergab war auch schon der gesamte Betrag überwiesen. Suzuki war die Sache anscheinend etwas unangenehm. Und wenn man Gringo heute nach dem nächsten Urlaubsziel befragt, hört man wie aus der Pistole geschossen:
Ukraine , denn angeblich soll es dort sehr schön sein !!!
Wirklich passiert !!!!
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Und solltest du da ein Problem festestellen, besorg die Schalgzahlen, bevor du über eine Grenze willstmoment, ich geh mal schnell die Fahrgestellnummern mit den Papieren vergleichen...

Andereseits:
Ist doch gut zu hören, dass sich da scheinbar jemand drum kümmert, welche Fahrzeuge die Grenze passieren! Den Grenzbeamten ist da also kein Vorwurf zu machen, ganz im Gegenteil.
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